Zwangssterilisationen von Frauen und Mädchen mit Behinderung sind ein dunkles Kapitel der deutschen Geschichte. Im Dritten Reich haben die Nationalsozialisten zwischen 1933 und 1945 geschätzte 400.000 Menschen, die als „erbkrank“ galten, zwangsweise sterilisiert, davon sehr viele Frauen und Mädchen.
Und heute?
Heute sind Sterilisationen gegen den erklärten Willen verboten. Wenn jemand nicht einwilligungsfähig ist, kann die Betreuungsperson nur unter strengen Auflagen einer Sterilisation zustimmen. Zu diesen zählt unter anderem, dass
„es ohne Sterilisation zu einer Schwangerschaft kommen würde, infolge dieser Schwangerschaft eine Gefahr für das Leben oder die Gefahr einer schwerwiegenden Beeinträchtigung des körperlichen oder seelischen Gesundheitszustands der Schwangeren zu erwarten wäre, die nicht auf zumutbare Weise abgewendet werden könnte, und die Schwangerschaft nicht durch andere zumutbare Mittel verhindert werden kann.“
Die Sterilisation von nichteinwilligungsfähigen Personen muss vom Betreuungsgericht genehmigt werden.
De facto galten Sterilisationsempfehlungen von Frauen und Mädchen mit Lernschwierigkeiten auch in den 1960er bis 1980er Jahren als probate Verhütungsmöglichkeit. Ausgestellt wurden diese Empfehlungen häufig von (Human-) Genetiker_innen.
Die Bewegung behinderter Frauen hat sich bereits in den Gründungsjahren Anfang der 1980er Jahre dem Thema angenommen. Während des Krüppeltribunals 1981 wurde die Menschenrechtsverletzung bereits angeklagt.
Derzeit werden etwa 100 Anträge pro Jahr auf eine Sterilisation für einwilligungsunfähige Personen gestellt. Laut einer Statistik des Bundesjustizministeriums wurden 2016 23 Anträge genehmigt. Es werden jährlich weniger Sterilisationen genehmigt.
Nein, das können wir so nicht sagen.
Deutschland ist sowohl der Behindernrechtskonvention der Vereinten Nationen (UN-BRK) als auch der Istanbul-Konvention verpflichtet. Beide Menschenrechtsverträge verbieten Zwangssterilisationen.
Der Fachausschuss der Vereinten Nationen hat Deutschland bei seiner ersten Prüfung zur Umsetzung der UN-BRK im Jahr 2015 gefragt, ob es „Sterilisationen ohne freiwillige Einwilligung nach vorheriger Aufklärung“ gäbe. Da die Statistik des Bundesjustizamtes nicht differenziert zwischen Einwilligung und einer Nichtäußerung eines „Nein“, sind nach Meinung des UN-Fachausschusses Zwangssterilisationen nicht ausgeschlossen.
Entsprechend empfehlen die Vereinten Nationen Deutschland eine Abschaffung des § 1905 Bürgerliches Gesetzbuch (BGB), ein gesetzliches Verbot einer Sterilisation ohne die vollständige und informierte Einwilligung sowie die Abschaffung ersetzender Entscheidungen, auch richterlicher Genehmigungen.
Frauen mit Behinderung sind laut Studienergebnissen doppelt so häufig sterilisiert wie Frauen im Bevölkerungsdurchschnitt - 10 bis 18%.
Besonders auffällig ist, dass Frauen mit Lernschwierigkeiten, die in Einrichtungen leben, häufiger sterilisiert sind, auch wenn sie wenig oder keine sexuellen Kontakte haben.
Die Frauen in Einrichtungen, die nicht sterilisiert sind, erhalten häufig die 3-Monats-Spritze zur Verhütung (43% der Frauen in Einrichtungen), ebenfalls unabhängig von ihrer sexuellen Aktivität. Das heißt: Von Seiten der Betreuer_innen, des Personals und der Gynäkolog_innen wird ein hohes gesundheitliches Risiko in Kauf genommen, nur damit auf keinen Fall „etwas passiert“.
Ob die Frauen immer wissen, dass sie infolge der Verhütungspraxis keine Kinder bekommen können, ist unklar. Vielen von ihnen ist jedoch sehr deutlich, dass ihre Eltern nicht wollen, dass sie Kinder bekommen.
Oder sie hinterfragen selber, wie das denn gehen soll. Denn in der Praxis gibt es viel zu wenige Möglichkeiten, dass Mütter/Eltern mit Lernschwierigkeiten mit Unterstützung wohnen können.
De facto „entscheiden“ sich viele Frauen mit Lernschwierigkeiten gegen ein Leben mit Kind infolge der gesellschaftlichen Gegebenheiten.
Nahezu die Hälfte aller sterilisierten Frauen in Einrichtungen gaben in einer Studienauswertung an, dass der Arzt/die Ärztin oder die Betreuungsperson gesagt habe, sie sollten sich sterilisieren lassen. Eine „informierte und freiwillige Zustimmung“ darf infolge dieser Ausführungen in vielen Fällen bezweifelt werden.
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