Wir brauchen eine umfassende und wirksame Gewaltschutzstrategie!

Die Vereinten Nationen fordern sie seit 2015, in der Istanbul-Konvention ist sie seit 2018 für Deutschland bindend, im Koalitionsvertrag von 2021 ist sie verankert: Eine GEWALTSCHUTZSTRATEGIE.

Die Politische Interessenvertretung behinderter Frauen im Weibernetz e.V. fordert eine umfassende Gewaltschutzstrategie, wie sie von den Vereinten Nationen bereits im Rahmen der 1. Staatenprüfung zur Umsetzung von Artikel 16 UN-BRK gefordert wurde.

Der Ausschuss der Vereinten Nationen empfahl Deutschland 2015 „eine umfassende, wirksame und mit angemessenen Finanzmitteln ausgestattete Strategie aufzustellen, um in allen öffentlichen und privaten Umfeldern den wirksamen Gewaltschutz für Frauen und Mädchen mit Behinderungen zu gewährleisten.“

Umfassend bedeutet, Berücksichtigung von:

  • unterschiedlichen Lebensbedingungen von Frauen und Mädchen mit Beeinträchtigungen (Wohnen in der eigenen Wohnung, mit Assistenz, in einer Einrichtung, im ambulant betreuten Wohnen und so weiter)
  • unterschiedlichen Beeinträchtigungen
  • verschiedenen Kontexten, in denen Gewalt vorkommt (Familie, Schule, Sport, Arbeit, Gesundheitsbereich, Pflege und so weiter)
  • allen Formen von Gewalt
  • Mehrfachdiskriminierungen und Intersektionalität

Wirksamkeit kann nur erreicht werden, wenn:

  • klare kurz- mittel- und langfristige Ziele formuliert werden, die überprüfbar sind.
    Wobei das langfristige Ziel der uneingeschränkte Zugang aller Mädchen und Frauen mit Beeinträchtigungen zu allen Maßnahmen der Prävention und Intervention sein muss.
  • die umfassenden Maßnahmen von Bund, Ländern und Kommunen ineinander greifen

Mit angemessenen Finanzmitteln ausgestattet bedeutet:

  • Alle umfassenden Maßnahmen müssen langfristig ausreichend finanziert sein, weil sie sonst nicht ihre Wirkung entfalten können.

Eine umfassende Gewaltschutzstrategie für Deutschland muss ressortübergreifend sowie mit Länder- und kommunaler Beteiligung erarbeitet werden.

Viele Gewaltschutzmaßnahmen, die Deutschland in den vergangenen Jahren vorgenommen hat, sind gut.
ABER: Es sind überwiegend Einzelmaßnahmen. Sie greifen nicht ineinander und bauen nicht langfristig strategisch aufeinander auf und die Schutzlücken bleiben bestehen, sprich: Sie erfüllen nicht die Forderung nach einer umfassenden Gewaltschutzstrategie zum Schutz vor Gewalt an Frauen und Mädchen mit Behinderung.

 

Beispielhafte inhaltliche Kernpunkte einer umfassenden Gewaltschutzstrategie

Gesetzgeberischer Rahmen

  • Überprüfung des Gewaltschutzgesetzes hinsichtlich seiner Wirksamkeit für Frauen mit unterschiedlichen Lebensbedingungen (auch in Wohneinrichtungen der Behindertenhilfe)
  • Bei dem in dieser Legislaturperiode geplantem Rechtsanspruch auf Schutz vor Gewalt: Frauen und Mädchen mit Behinderungen im Blick behalten (hinsichtlich Barrierefreiheit, personeller Besetzung von Frauenhäusern und –beratungsstellen und vieles mehr)
  • Psychiatriereform mit Abbau von Zwangsmaßnahmen
  • Rechtsanspruch auf geschlechtergleiche Pflege nach Wunsch
  • Stärkung der Mitbestimmungsrechte von Frauenbeauftragten in der Werkstättenmitwirkungsverordnung (WMVO)
  • Ergänzend zum neuen Paragraf 37a Sozialgesetzbuch 9 (SGB IX) Schaffen von Mindeststandards für Gewaltschutzkonzepte

Aus- und Fortbildung

  • Fortbildungen für Fachpersonal, Ärzt*innen und medizinisches Personal, rechtliche Betreuer*innen, Polizei, Justiz und weitere
  • Verankerung von Gewaltschutz in Curricula für Ausbildungen von pädagogischem und medizinischem Fachpersonal

Prävention

  • Flächendeckend barrierefreie Beratungsangebote im Frauenhilfesystem
  • Gewaltschutz in Schulcurricula verankern
  • Finanzierung von Selbstbehauptungs- und Selbstverteidigungskursen für Mädchen und Frauen mit Behinderungen zur Prävention
  • Entlastung und Unterstützung von Familien mit behinderten Kindern

 

Intervention

  • Flächendeckend barrierefreies Frauenhilfesystem
  • Flächendeckend barrierefreie Psychotherapieplätze
  • Angebote für Täter mit Behinderungen

 

Forschung

  • Durchgängige Berücksichtigung der Intersektionalität (Frauen mit Beeinträchtigungen und weitere vulnerable Gruppen) bei Studien zu (geschlechtsspezifischer) Gewalt

 

Gewaltschutz in Einrichtungen

  • Unabhängige Beschwerdestelle bei Gewalt in Einrichtungen der Behindertenhilfe
  • Abbau von Machtmissbrauch
  • Abbau gewaltfördernder Strukturen
  • Stärkung der Selbstbestimmung von Bewohner*innen und Beschäftigten
  • Stärkung der Mitbestimmungsrechte
  • Zusammenarbeit mit Frauenbeauftragten in Einrichtungen bei der Entwicklung von Gewaltschutzkonzepten
  • Vernetzung mit dem (Frauen-) Hilfesystem vor Ort

 

Deutschland hat sich verpflichtet, das Menschenrecht auf Schutz vor Gewalt umzusetzen. Mit Unterzeichnung der UN-Behindertenrechtskonvention, der Frauenrechtskonvention und der Istanbul-Konvention.

Wir sind bereit! Und Ihr?

25. November 2022



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