Ausstellungs-Tipp: CRIP TIME

Titelbild Ausstellung Crip Time mit Frauenhand, die eine Mandarine hält
Foto: Anneliese Mayer

Anneliese Mayer empfiehlt die Ausstellung CRIP TIME: Im Museum für Moderne Kunst in Frankfurt ist zur Zeit eine große Ausstellung zu sehen, die sich mit körperlichen und seelischen Beeinträchtigungen beschäftigt. Die überwiegend selbst beeinträchtigten Künstlerinnen und Künstler thematisieren in ihren Werken Einschränkungen, Barrieren und Verletzungen. Mit ihren Skulpturen, Zeichnungen, Gemälde und Videoinstallationen regen sie zu einer tiefgehenden Auseinandersetzung mit Medizin, Behinderung, Krankheit und Ausschluss an.

Ich möchte hier nur vier von den über 50 Ausstellungsobjekten herausgreifen: Auf dem Ankündigungsplakat zur Ausstellung sehen wir eine Hand, die uns eine Orange anreicht. Das Foto stammt aus dem Video „hand model“ von Michelle Miles (USA). Während die Hand uns verschiedene Gegenstände (Haarbürste, Tasse, Sexspielzeug) präsentiert, erzählt Michelle Miles, wie sie sich bei einer Agentur als Modell beworben hat. Als klar wurde, dass sie aufgrund einer Muskelerkrankung Rollstuhlfahrerin ist, bekam sie eine Ablehnung.

Ein anderes Video bringt uns die Lauterfahrung einer Frau mit Hörbeeinträchtigung nahe. Liza Sylvestre (USA) erzählt ihre Erinnerung an das Hören in zwei Versionen: Einmal in der Weise, in der die Wörter gesprochen werden und danach in der Weise, wie sie Laute hören kann. Für Menschen, deren Hörvermögen nicht eingeschränkt, klingen diese Laute befremdlich, während das Bemühen einer Frau mit Hörbeeinträchtigung um eine klare Artikulation Verzweiflung und Frustration hervorruft.

Berührend ist für mich immer wieder das Bild des bekanntesten deutschen Malers der Gegenwart, Gerhard Richter, mit dem Titel „Tante Marianne“, das er nach einem Foto von 1932 bearbeitet hat. Auf ihm ist er als Baby auf dem Schoß seiner Tante zusehen, die ein Opfer der NS-Euthanasie wurde. Richter hat nach dem Foto Mitte der 1960er Jahre ein Gemälde hergestellt und von diesem wiederum eine Fotofassung, welches nun in Frankfurt zu sehen ist. Die großformatige Form wurde von Richter der Gedenkstätte Großschweidnîtz bei Görlitz übereignet. In dieser ehemaligen Heil- und Pflegeanstalt lebte seine Tante, Marianne Schönfelder, bis sie aufgrund der stillen Euthanasie ermordet wurde.

blaue Bank mit der Aufschrift in Deutsch übersetzt: Es war schwer, her zu kommen. Wenn Du einverstanden bist, mache hier eine Pause.
Foto: Anneliese Mayer

Als ich die Ausstellung besuchte, überlegte ich, mir einen Stuhl mitgeben zu lassen, da das lange Stehen inzwischen beschwerlich für mich ist. Diese Gedanken waren überflüssig. Als Kunstwerk wurden von Shannon Finnegan extra für die Ausstellung Bänke und Chaiselongues gestaltet, auf deren Polster steht zum  Beispiel „The only thing I like about is that they can be used as a place to sit in a pinch“ oder (übersetzt) „Diese Ausstellung hat von mir verlangt, zu lange zu stehen. Setzen Sie sich, wenn es Ihnen auch so geht.“

Die Ausstellung ist barrierearm. Es gibt ein Begleitheft in leichter Sprache, entstanden unter Mitwirkung von People First-Mensch zuerst. Eine Einführung gibt es im Eingangsbereich auf einem Video in Gebärdensprache. Blinde und sehbehinderte Menschen bekommen eine Audiobeschreibung durch die einzelnen Künstlerinnen und Künstler über einen QR-Code (schnelle Weiterleitung mit dem Smartphone zu einer Webseite).

Die Ausstellung läuft bis 30. Januar 2022. Öffentliche Führungen finden donnerstags um 17 Uhr und samstags und sonntags jeweils um 15 Uhr statt.

Anneliese Mayer



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